Heute: Wie man sich den Tierarzt erzieht
Gestern schleppten mich meine Menschen zum Tierarzt. Ich habe meinen Menschen ja schon ein paar Male versucht klarzumachen, dass das keine gute Idee ist und ich nicht damit einverstanden bin, aber ausgerechnet bei dem Thema Tierarzt scheine ich bei meinen Menschen auf Granit zu beißen. Aber …, mal ganz ehrlich, füge ich mich deswegen etwa brav in mein Schicksal??? Aber nicht doch, nicht doch! Wer wird denn gleich aufgeben …?! Der Besuch begründete sich mit einer Impfung (da wird man gepiekst und erhält eine Flüssigkeit, damit man nicht bekommt, was man nicht hat und auch nicht haben will – irgendwelche Scheißkrankheiten), und dann hieß es noch, die Krallen wären zu lang und müssten mir geschnitten werden.
Okay, also die Impfung ließ ich noch klaglos über mich ergehen. Ich saß da, machte keinen Mucks und dachte nur: Bin halt ein alter Kriegsveteran, man muss sich da wohl schon noch mehr einfallen lassen, um mich aus der Reserve zu locken. Dann kam die Tablette mit der Wurmkur. Auch das nahm ich zwar ungern, aber noch relativ gelassen hin. Schließlich griff die Tierärztin mit einer Hand zur Krallenschere und mit der anderen sehr entschieden zu einer meiner Pfoten. Da war es dann abrupt mit der Kriegsveteranen-Gelassenheit vorbei. Ich mutierte blitzschnell zum aktiven Krieger. Ich zuckte mit der Pfote zurück. Die Tierärztin hielt diese daraufhin entschlossener fest und wagte ein schnelles Schnipp-schnapp. Ein leises Grollen drang aus meiner Kehle. Die Tierärztin ließ sich davon zunächst nicht beeindrucken. Ein weiteres Schnipp-schnipp. Ich wurde deutlicher: Was genau an „gggrrrrmmmhhhrrroarrr“ verstehen Sie bitte nicht, Sie dumme Gans??!!! Mein Ton wurde mit jedem Schnipp vernehmlicher und bedrohlicher. Die Tierärztin stellte sich offensichtlich taub. Ob ich da meine noch verbliebenen langen, scharfen Krallen zum Einsatz bringen sollte? Schnipp-schnapp! Die nächste Kralle war ab. Irgendwie musste ich hier ganz, ganz dringend Tacheles reden: „GROARRRRMMGRRR…!!! ICH SAGTE: ICH WILL DAS NICHT!!!!!!!“ Der gesamte Behandlungstisch vibrierte und mein grummelndes Brummen war mittlerweile schon auf das Niveau eines ausgewachsenen Bären angeschwollen, also, würde ich jetzt mal so sagen. Mein Schwanz peitschte hin und her. Ich wand mich erfolgreich unter dem entschiedenen Griff von sechs Händen. Dann langte ich endlich mit ausgefahrenen Krallen zu. Ich war fair gewesen und hatte meinen Angriff ordnungsgemäß angekündigt. Natürlich stürzte ich mich ausschließlich auf die Tierärztin. Meine Menschen waren offensichtlich gerade in ihren falschen Bann geraten, also war sie, die dumme Gans, letztlich alles schuld. Zack-zack, zack-zack-zack. Schneller als der schnellste Augenblick raste meine Pfote hin und her, hier- und dahin und grub sich wie durch Butter tief ins Fleisch des tierärztlichen Armes. Die Tierärztin jedoch, ich konnte es nicht fassen, ließ sich immer noch nicht abschrecken. Sie nahm mich zwischen ihre Arme, streichelte mich und redete, es sollte wohl liebevoll-erklärend sein, auf mich ein. Siebenundzwanzigster Versuch, mir die Krallen zu schneiden, wobei ein paar davon bereits ihre überlange Spitze eingebüßt hatten. Ich schlug weiter um mich, wand mich und grollte bitterbitterböse, als ob es ums nackte Überleben ginge. Die Tierärztin besorgte sich dicke Handschuhe. Das machte mir aber erst recht Lust aufs Zubeißen und – auch wenn es kaum möglich schien und ich selbst nicht mehr wusste, woher ich die Kraft nehmen sollte – ich steigerte und steigerte mich weiter und weiter in meine Wut hinein. Die Tierärztin streichelte mich nun wiederum (geht’s noch?!!) und sang mir ein Miau-Lied vor. Ich sah ihr direkt in die Augen und frönte schlichtweg Mordgelüsten. Singen konnte sie also auch nicht. Jedenfalls war ihr Katzianisch beschissen und ich hatte sowas von die Nase voll von dem ganzen Scheiß. Meine Menschen hörten doch sonst immer so fein aufs Wort. Die hatte ich echt gut hingekriegt. Was war nur los? Was war heute anders? Es war mittlerweile nur eine einzige lange Kralle übrig geblieben, die die Tierärztin noch nicht geschnitten hatte und sie blieb zum Glück übrig. Endlich waren wir uns alle einig. Völlig entnervt sahen sich die Menschen an und beschlossen, diese letzte so zu lassen. Ich hatte zumindest einen Teilsieg errungen. Warum denn nicht gleich so?
Ich hörte meine Menschin sagen: „Ich weiß gar nicht, was bei mir gerade beim Tierarzt überwog: Mein Stolz über Streunis Wildheit und Unbeugsamkeit, die Sorge, dass ihm die blöden langen Krallen in seine sensiblen Pfoten hineinwachsen oder die Angst, er könnte aus der armen Tierärztin, die sich wirklich wahnsinnig viel Mühe gab, mit Streuni auch nur irgendwie klarzukommen, feinstes Hackfleisch machen. Er hatte jedenfalls den entsprechenden Ausdruck in den Augen.“ Stimmt, ich war kurz davor gewesen. Echt jetzt! Wenn du’s nicht glaubst, zeig ich dir meine extralange Stinkekralle.
Hier! Alles klar?!!
Kaum war ich übrigens wieder zu Hause, sagte ich mir: Geht doch! Und im Nu verwandelte ich mich zurück in das schläfrige Schmusetier von eh und je. Der riesengroße und starke und sehr gefährliche Krieger wirkt nun wahrscheinlich nur noch wie eine niedliche Illusion meiner selbst. Nur die Stinkekralle beweist noch, dass es ihn gibt. So, und nun gut Schnarch!